Zar
Zar lautete der höchste Titel des russischen Herrschers seit 1547. Das Wort war freilich auch vorher schon in Gebrauch, und zwar im biblischen Sinn für den Himmelskönig, ferner für den byzantinischen Kaiser und für ausländische Herrscher von den alttestamentarischen Königen über die römischen Kaiser bis zu den tatarischen Khanen, für die die Begriffe "König" und Fürst nicht angewandt werden konnten.
Es konnte im "orthodoxen" Bereich jedoch nur einen Zaren als Träger der obersten Gewalt geben, so daß die offzielle Übernahme des Titels vor dem Fall von Konstantinopel nicht in Frage kam. Nach 1453 gebrauchte Iwan III. den Zarentitel bereits offiziell in außenpolitischer Hinsicht im Verkehr mit Reval, Lübeck, Livland, Brandenburg, dem Kaiser und Dänemark.
Ebenso handelte Wasilij III.‚ der auch noch Schweden und den Heiligen Stuhl einschloß. Die auswärtigen Mächte zögerten allerdings mit der Gewährung bzw. nach 1547 mit der Anerkennung des Titels, obwohl der Herzog von Mailand ihn als erster schon 1463 einmal benutzte. Erst dreißig Jahre später gestand Hans von Dänemark dem Moskauer Großfürsten die Titulierung "Imperator", die logische Übersetzung von "car", in einem Vertragstext zu. 1514 nannte der kaiserliche Gesandte Schnitzenpaumer Wasilij III. versehentlich "Keyser und Herrscher aller Reußen" und schuf damit einen später noch von Peter dem Großen bei der Übernahme des Kaiser-Titels herangezogenen Präzedenzfall.
Aber schon drei Jahre später wandte der Hochmeister des Deutschen Ordens den Imperator-Titel ganz offiziell an. Andererseits mußte Moskau noch lange um die Anerkennung des Titels kämpfen, auch nachdem sich Iwan der Schreckliche durch den Metropoliten Makarij (1481/82-1563) am 16. Januar 1547 die Monomachmütze hatte aufsetzen lassen. Von den unmittelbaren Nachbarstaaten erkannte Polen-Litauen den Titel erst nach Beendigung des Smolensker Krieges 1634 zum erstenmal an, machte aber auch danach noch Schwierigkeiten. Der Papst verstand sich erst 1685 zu einer Anerkennung, als der Beitritt Moskaus zur Heiligen Liga unmittelbar bevorstand. Zur Beruhigung der katholischen Mächte hatte der Abt Skarlati zwölf Jahre vorher eine Denkschrift verfaßt, in der die Bedeutung des Wortes Zar auf die Ebene eines Königs herabgestuft worden war. Demgegenüber beinhaltete das Selbstverständnis der Moskauer Großfürsten seit Iwan III. mindestens die Ebenbürtigkeit und eigentlich die Höherrangigkeit über den weströmischen Kaiser.
Zur ideologischen Begründung der Zarenkrönung diente neben der translatio imperii und der Lehre vom Dritten Rom vor allem die entweder aus Twer stammende oder 1498 verfaßte "Erzählung von den Wladimirer Fürsten",[1] in der die angebliche Abstammung der Rjurikiden von den römischen Kaisern und die Legende von der Monomachmütze verarbeitet waren. Die erste Redaktion der Erzählung tauchte auf im ersten Viertel des 16. Jh. in den Sendschreiben des Twerer Metropolitenkandidaten Spiridon-Sawa im Zusammenhang mit den Grenzauseinandersetzungen zwischen Moskau und Polen-Litauen; die zweite Redaktion stellte die Einleitung zur Krönungszeremonie von 1547 dar.
Gegenüber den ausländischen Mächten wurde die Krönung offiziell zunächst nur mit dem Hinweis auf die apokryphen Krönungen Wladimirs des Heiligen und Wladimir Monomachs gerechtfertigt; später kam als weiteres Argument der Besitz dreier Zartümer — Kazank, Astrachans und Sibiriens — hinzu. Damit ging der Zarentitel in R. nicht nur auf die byzantinische Tradition zurück, sondern enthielt auch eine Komponente der tatarischen Souveränität. Überhaupt beinhaltete der Begriff Zar nie die politische Universalität des byzantinischen Kaisertitels, und der "Zar und Großfürst von ganz Rußland" konnte sich am 31. Oktober 1721 leicht in "allrussischer Kaiser" umbenennen, während die drei tatarischen Zarentitel auch in der Neuzeit beibehalten wurden.
Im populären Sprachgebrauch hieß der Kaiser aber auch allgemein bis zum Ende Nikolaus' II. weiterhin "Zar".
Verweise
Einzelnachweise
- ↑ Skazanie o knjaz’jach vladimirskich