Demokratisierung - Holder Wahn oder Verzweiflungsschrei?

Aus Monarchieliga
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  • Erschienen erstmals 1972 in „Luftschlösser, Lügen und Legenden“
  • Stark geprägt von den Demokratisierungsexzessen der linken Koalitionsregierungen in der BRD und Österreich (Brandt, Kreisky).
  • 1985 finden wir den Aufsatz wiederum in „Gleichheit oder Freiheit“, dieser großartigen Kompilation des Denkens des Meisters.


Dem Hohenrain-Verlag ist nicht genug zu danken für diese sorgfältige Edition, aus der bereits 1985 überdeutlich wurde, daß von der „geistig-moralischen Wende“ Helmut Kohls nicht das Geringste zu erwarten ist. Es muß als Katastrophe für Deutschland gelten, daß es den widerwärtigen CDU-Demokraten gelang, mit Hilfe betrügerischer Methoden noch weitere 13 Jahre (sic!!!) an der Regierung zu bleiben. Kuehnelt-Leddihn ist hierfür keine Schuld zuzuschreiben, denn er gehört zu den sehr wenigen, die nicht nur fundiert, sondern auch rechtzeitig gewarnt haben.


Analyse einer Neurose

„Das Mehrheitsprinzip ist in der Form allgemeiner Urteile über alles and jedes, wie sie durch alle Arten von Abstimmungen und modernen Techniken der Kommunikation wirksam werden, zur souveränen Macht geworden, der das Denken sich beugen muß. Es ist ein neuer Gott, nicht in dem Sinne, in dem die Herolde der großen Revolutionen es begriffen, nämlich als eine Widerstandskraft gegen die bestehende Ungerechtigkeit, sondern als eine Kraft, allem zu widerstehen, das nicht konform geht.“[1]

Gewiß bin ich mir bewußt, daß die Empfehlungen zur Disziplin, zu einem veränderten Wachstumsbegriff oder zu rationalerem Verhalten immer noch viel zu nahe jenem trivialen Mittelweg liegen, den die Verlegenheit weist. Was in der Tat beginnt eine Demokratie, wenn sie erkennt, daß die Technologie dem ihr innewohnenden Gesetz nicht folgen kann, ohne die Werte und Institutionen eben dieser Demokratie zu zerstören? … In den vielen Jahren, in denen ich sowohl der Regierung als auch der Wissenschaft eng verbunden war, fand ich immer wieder meinen schon frühzeitig wachgewordenen Argwohn bestätigt, Demokratie sei unter heutigen Bedingungen keineswegs mehr automatisch mit dem Fortschritt vereinbar.[2]

Gäbe es keine Politik, so hätte der Bürger bloß ein Innenleben, also nichts, was ihn ausfüllen könnte.[3]

I

„Demokratisierung“ - dieses magische Schlagwort, geschichtlich eine unerwartete Spätgeburt mit verschrumpftem Gesichtchen, die fast zweihundert Jahre nach dem Fall der Bastille das Licht der Welt erblickte, hat ganz eigenartige Hinter-, Ur- und Untergründe, die zu einer kleinen Analyse einladen. Ein Nachzügler aus dem überaus großen Zoo der Französischen Revolution, nährt es sich von allen möglichen semantischen Irrtümern und mißverstandenen historischen Perspektiven, worüber man sich nicht wundern soll, denn schließlich sind die wenigsten von uns Zeitgenossen ihrer eigenen Zeit … wozu aber der Moralist kritisch bemerken könnte, daß der Mensch „immer mit dem Niedrigsten seines Wesens in seine Zeit gehört“ (K. H. Waggerl).

II

Was Demokratie nun wirklich ist, schilderten wir im Kapitel über die politische Semantik (II, 1, S. 27-29). Hinzuzusetzen wäre, daß die Demokratie theologisch gesehen genauso wie die sogenannte Nacktkultur in ihrer naiven Form einen uralten Sehnsuchtstraum verkörpert: im Falle der Demokratie die Fata Morgana der Herrschaftslosigkeit. Die Erbsünde brachte die Scham und die grobe menschliche Unzulänglichkeit in die Welt und mit letzterer die Notwendigkeit des Staates mit „künstlicher“ Ordnung und Zwang. Es wurde unser Schicksal, beherrscht zu werden.[4] Die Ungleichheit und die Gewalt, die Arbeit, die Sünde, das Sexualproblem, der Schmerz, der Tod und der Irrtum hielten ihren Einzug. Der Mensch war nun spoliatus gratuitis et vulneratus in naturalibus. Die Demokratie aber versuchte (rein psychologisch) mit einem Aspekt der Erbsündefolgen aufzuräumen. Von den Ideologien, die sich von der Französischen Revolution ableiten lassen und mit ihren Prinzipien nur zu oft mit erschreckender Logik zu letzten Konsequenzen führen, werden Paradiese versprochen.

Kein Wunder, denn wie uns schon Proudhon sagte, werden wir bei politischen Betrachtungen immer wieder auf die Theologie stoßen.

Wenn nun zum Beispiel ein Amerikaner stolz behauptet: „Wir haben keinen Herrscher, wir beherrschen uns selbst“, so ist dies existentiell zwar höchst fragwürdig, er mag aber vielleicht das Glück haben, daß nach der Wahl wirklich sein eigener and nicht seines Nachbarn Repräsentant ins Weiße Haus einzieht. Auf jeden Fall verrät aber seine Behauptung eine Sehnsucht nach dem Garten Eden. Tatsächlich ist in den Vereinigten Staaten das autoritäre Vaterbild stark verblaßt. Uncle Sam ist ein dürrer Hagestolz mit Ziegenbart; man gehört dort einem Volk von Brüdern an und „regiert sich selbst“. Eva ist Adam „gleich“ und unterliegt nicht dem Fluche Jahwes.[5] Kain ist noch nicht am Tapet.[6]

Im politischen Bereich hat sich die Demokratie in den letzten Jahrtausenden da und dort auf einige Zeit als lebensfähig erwiesen, doch schon Lykurg hatte einem Spartaner gesagt: „Du willst die Demokratie? Dann führe sie zuerst in deine Familie ein!“ Das war vor langer Zeit als elegante Form der Absage wirksam, dock würde sie heute mancherorts ihre Wirkung verfehlen, denn nicht wenige sähen in diesem Vorschlag (schon in Hinsicht auf die antiautoritären Kindergärten) keine ungeheuerliche Zumutung. Vielleicht fehlt es uns nicht einmal an Männern, die - wenn aufgefordert - die Couvade[7] praktizieren würden. Der Schrei nach der Demokratisierung der Familie, der Schulen, der Armeen, der Banken, Universitäten, Kirchen, Kurien und Klöster, der Bühnen, Eisenbahnen, Spitäler, des Rundfunks, der Irrenhäuser, Blindenheime, Kasperltheater, Hotels, ja, nach der Einführung einer wahren Geschlechtsdemokratie wird allenthalben erhoben. Wieso? Warum? Wir haben schon die ewige Paradiessehnsucht nach Herrschaftslosigkeit, Nacktheit und endloser Freiheit - Rousseaus „Rückkehr zur Natur“ - angeführt, doch gibt es hier noch andere, zeitgebundene Gründe, die jenseits von der Angst vor dem Zwang, vor der „Faust im Nacken“ liegen.

III

Die praktischeren Beweggründe für den Schrei nach „mehr Demokratie“, also nach einer Demokratisierung (= Gleichheit + Mehrheitsherrschaft) auch des nichtstaatlichen Raumes, sind zahlreich. Der Mensch ist im Grunde kein zerlegbares Wesen, und wenn er bestimmte Prinzipien in einen Bezirk seines Denkens und seiner Existenz einbaut, hat er auch die Neigung, sie in andere einzuführen. So hat die Demokratie beweisbar den ersten Anstoß zum Sozialismus und Kommunismus gegeben. Und wenn wir alle unabhängig von unserem Wissen und unseren Leistungen gleichermaßen eine Stimme haben, dann sollten uns auch ein gleiches Einkommen, eine identische Erziehung, eine gleich große Wohnung, die gleiche ärztliche Behandlung[8] zuteil werden. Es dürfte uns also nicht überraschen, daß Staaten, die das Zauberwörtchen „demokratisch“ in ihrem Etikett führen - von der „DDR“ bis zu Nordkorea und von Bulgarien bis Nordvietnam -, mühelos als Marxistâns diagnostiziert werden können.[9] Dort „wählt“ man dann auch die gleiche Partei. Das Leitmotiv hier wie anderswo ist der spitze Protestschrei: „Niemand soll es besser, niemand soll es anders haben als ich.“

IV

Dies sind nicht unwichtige Einzelheiten, um das heutige Demokratisierungsgeheul besser zu verstehen. Tabellieren wir nun die Motive, die sich hinter diesem Furor verbergen.

In der ersten Hauptgruppe wollen wir zuvörderst einmal die unaufrichtigen, die verlogenen Beweggründe der Demokratisierungsforderung zusammenfassen, Gründe, die selten offen genannt werden, aber dennoch ihre ganz besondere Dynamik besitzen. Dazu gehört vor allem das Postulat der Demokratisierung von nichtpolitischen, also wirtschaftlichen, kulturellen, religiösen, biopsychologischen Einrichtungen aus dem einfachen Grund, um sie zu erobern. In der Hoffnung, daß die meisten Beteiligten in den untergeordneten Stellungen dieser „Betriebe“ - Kinder, Jugendliche, Angestellte, Arbeiter, Laien, Kuraten, Patienten, Schauspieler, Pfleger, Kunden - für die Argumente der Demokratiseure anfällig sind, werden sie aufgefordert, sich an der „Macht zu beteiligen“ and sich zu einer kontrollierenden, wenn nicht kommandierenden Körperschaft zusammenzuschließen … der Aufstand gegen die Manager. Hier liegt eine Analogie zum Anliegen des Parteipolitikers vor, wie ja schon Engels die Hoffnung ausdrückte, durch die Forderung des demokratischen Parlamentarismus dem Marxismus schon verfassungsgemäß zum Siege zu verhelfen.[10] (Es kam allerdings anders: Es war Hitler, der die überreife Frucht vom Baum der Weimarer Republik pflückte. Man darf eben bei seinen Kalkulationen den lotteriehaften Charakter der politischen Demokratie nicht übersehen.)

Ein weiteres Motiv ist die Vernichtung des Demokratisierungsobjekts. Die Demokratisierung ihrer dem Wesen nach hierarchischen Gebilde kann sic völlig ruinieren. Ein Land, in dem die Straße, die Gosse oder die Journaille die Außenpolitik oder die militärische Strategie diktiert,[11] wird bald vom Schauplatz der Weltgeschichte verschwinden. Eine Universalkirche, die in ihrer Entwicklung von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie nicht weiß, wo sic haltmachen soll, und über ihr Ziel hinausschießt, könnte bei gesteigerter Demokratisierung die übelsten Erfahrungen machen.[12] Man stelle sich einmal demokratische Papstwahlen vor, in denen nur Kandidaten mit „edlem Profil“ and Sex-Appeal für das Laienvolk feminini generis wirklich gute Chancen hätten. Siegermächte haben oft unbequeme Nachbarn „demokratisiert“, um sie schwach and aktionsunfähig zu erhalten.[13] In diesem Zusammenhang sollte auch darauf hingewiesen werden, daß die militärische Demokratie der Schweiz ein Unikum ist.[14]

Wirksam ist drittens auch der brennende Ehrgeiz der Demokratisierungsfanatiker, gemischt mit einer echten Neidbefriedigung, wobei Jugendliche, als Erniedrigte und Beleidigte, und haßerfüllte Proleten (beileibe aber nicht Proletarier) eine wichtige Rolle spielen. Mitreden, hineinreden, zerreden, in der Debatte leuchten, die Hohen und Mächtigen von gestern niederzuschreien, das scheint das Endziel zu sein. Proletkult in neuer Bedeutung wird hier groß geschrieben.[15]

V

In der zweiten Hauptgruppe finden wir die ehrlichen Befürworter der Demokratisierung, d. h. der Übertragung bestimmter politischer Schablonen auf den Alltag. Hier kommt zuerst einmal das naiv-selbstlose, dabei aber auch kopflose Bestreben, die Errungenschaften der Demokratie überallhin zu verpflanzen. Diese Tendenz ist aber selten in den alten Demokratien zu finden. Ein Schweizer, der für seine (politische) Demokratie einen ganz großen Respekt empfindet, hängt sich bedenkenlos das Bild seines militärischen Oberkommandierenden (und nicht etwa einer politischen „Größe“) über seinen Schreibtisch and träumt keineswegs davon, die Armee, die SBB,[16] Brown-Boveri, seinen Freundeskreis oder gar sein Familienleben zu „demokratisieren“. (Danach sinnt viel eher der rebellierende Sohn eines ehemaligen SS-Obersturmbannführers.) Der Irrtum, der beim Pandemokraten vorliegt, ist allerdings ein sehr menschlicher: er will andere and anderes nach seiner Fasson selig machen, and dies, obwohl es doch niemandem einfallen würde, den Hut mit Roserln and Rüscherln, der der Frau Müller so gut steht, dem Herrn Meyer auf den Kopf zu setzen.

An zweiter Stelle haben wir die so häufige Verwechslung der Demokratie mit dem Liberalismus, der Gleichheit mit der Freiheit, wobei von diesen wirren Fürsprechern der Demokratisierung im Betrieb, in der Familie, Kirche and Schule manchmal die Freiheit viel eher denn die Gleichheit angestrebt wird. Man möchte frei atmen können und nicht bedrückt sein, nicht vom Vorgesetzten bestraft, sondern vom Kollegen, vom „Gleichen“ gerichtet and beurteilt werden … ein uralter psychologischer Irrtum (to be judged by one’s peers), denn die Prügel des Bruders, besonders wenn sic vom Big Brother kommen, sind schmerzhafter als die des Vaters. „„zzz Die dritte Kategorie der Demokratisierungssucht ist die wichtigste: die Urauflehnung gegen das Vaterbild, das anarchische Nein zu aller Autorität. Die Illusion, daß die Herrschaft „aller“ sich magisch in Nichtherrschaft umwandeln könnte, macht sich hier peinlich bemerkbar. Wir sagen „peinlich“, weil Staat, Gesellschaft und Wirtschaft die Ordnung brauchen, und diese nur durch Autorität oder nackte Gewalt möglich ist. Doch der Herrschaft entkommen wir schon deswegen nicht, well beim Menschen die Ordnung, Einordnung, Unterordnung sich nicht wie im Ameisenreich spontan auswirkt. Echte Autorität fußt aber auf Liebe[17] oder zumindest auf Achtung. Sic ist ordnende Macht des anderen in uns. Fehlt diese, bleiben als Ordnungsgewalt nur noch Angst and Schrecken. Hier aber haben wir dann nicht das Verhältnis zwischen Familienmitglied und Familienoberhaupt, sondern zwischen dem (potentiellen oder aktuellen) Verbrecher and der Exekutive, dem Kaninchen and der Boa Constrictor. Dann droht wahrhaft Leviathan …

VI

Nun aber hat dieser Schrei nach Freiheit, der sich hinter dem Ruf nach Demokratisierung verbirgt, auch eine sehr tragische Note. Wenn auch noch nicht dem Mann auf der Straße, so doch den Wissenden deutlich erkennbar, steuern wir einer Zeit entgegen, die nicht nur für die Demokratie, sondern auch für die persönliche Freiheit äußerst ungünstig sein wird. Die nun aufziehende und zum Teil auch schon deutlich fühlbare Krise der Demokratie kommt nicht zuletzt von dem stets größer werdenden Abgrund zwischen den Scita and Scienda, wie wir dies im III. Tell (S. 69 ff.) auseinandergesetzt haben.

Die Großstaaten dieser Welt können bei weitem nicht wie Schweizer Landgemeinden, ja nicht einmal mehr parlamentarisch in sachlicher Weise regiert and verwaltet werden. Ein zwischen den einander widersprechenden Kommentatoren der Massenmedien wie ein Betrunkener schwankender Burger der USA (der in seinen politischen Entscheidungen nur noch Glaubensakte setzen kann) oder gar ein behaarter, Transparente tragender Troglodyt mit klirrendem Kostümschmuck, der gegen die Intervention in Kambodscha protestiert, können mit ihrem Unwissen and ihrer Unerfahrenheit in der Politik für diese keinen objektiven Beitrag mehr leisten. Hier muß ein Wandel geschaffen werden, wobei wir freilich keine Garantie haben, daß zeitgemäßere Regierungsformen morgen auch menschlicher („humaner“) sein werden als die gegenwärtigen. Doch der Wandel wird kommen und man mag dazu bemerken: Fata nolentem trahunt, volentem ducunt. Hier gilt es, weitschauend zu planen.

VII

Die mancherorts, besonders im Schatten nichtideologisch ausgerichteter, pragmatisch handelnder (zumeist militärischer) Regierungen auftretenden Technokraten stellen die ewig debattierende and amateurhafte Demokratie schon heute sehr deutlich in Frage. Aber nicht nur kühl berechnende, gedrillte and hochgezüchtete Technokraten, sondern auch die Technik selbst fordert kalt und unerbittlich einen steigenden Gehorsam and bedroht zugleich menschliche Würde und Freiheit. Ein echter Aufstand gegen die Technik ist jedoch kaum zu erwarten. Wahre Freiheit and Würde des Menschen als Argumente gegen das eiserne Dominium der Technik benutzen zu wollen, ist jedoch sehr schwierig, da der moderne, in seinem Denken so unoriginelle Mensch sich von den technologisch strukturierten Massenmedien ohne Widerstand manipulieren läßt. Kaum macht er den Mund auf, errät man gleich ganz genau die Quelle dieser oder jener „Überzeugung“.[18] Die Freiheit und Würde des Menschen in allen Ehren - aber die von Wiederkäuern und Papageien? Die wenigen Esprits forts, die wahrhaft unabhängigen Geister, die ungleich der Neuen Linken zu einem intelligenten Freiheitsstreben aufrufen könnten, haben weder die Massenmedien zur Verfügung, noch fallen sie politisch im Ein-Mann-eine-Stimme-System ins Gewicht. Auch ist es sehr fraglich, wie ihre Botschaft unter den günstigsten Umständen ankommen würde.[19]

Der bürokratisch-technokratisch-direktive Zug ist nun einmal in allen Domänen wirksam. Man täusche sich nicht durch das Trugbild brüllender Teenager, randalierender Jünger der Wissenschaft, Pornoliteraten, sich prostituierender Priester, renitenter Nonnen, streikender Spitalsärzte, demonstrierender Studienräte oder antiautoritärer Kindergartenlehrerinnen. Arme Schweine! Sie verkörpern lediglich den heiseren Verzweiflungsschrei in der Kälte des Morgens vor dem Aufgang der Sonne absoluter Herrschaft durch Technokraten and die Technik selbst. Gerade weil das totalitäre Vorspiel im Westen und das nicht furchtbarere Schauspiel eines Regimes kalter Macht im Osten so vielen von uns einen heillosen Schrecken eingejagt hat, hören wir den „antiautoritären“ Ruf nach participatory democracy, einen Ruf von Ertrinkenden.

Die Monarchen haben abgedankt und jetzt kommen die Rektoren, Professoren, Direktoren, Kardinäle, Landesbischöfe und Familienväter daran, doch zeigt es sich schon jetzt, daß die Rechnung nicht ganz aufgehen wird. So nimmt man auf vielen Universitäten die medizinischen Fakultäten von der Mitbestimmung aus, denn dort geht es ja auf Leben and Tod, und da kann man sich keine Scherze erlauben. Auch eignen sich Götzendämmerungen nicht für lange Debatten, Diskussionen and Dialoge. Zwar wird noch forsch weiterdemokratisiert, aber für den Einsichtigen sind die Tage der endlosen Redereien schon gezählt.

VIII

Die Geschichte ist zwar nicht eisern vorherbestimmt, die Weichen können immer noch verschiedentlich gestellt werden, doch die Prognosen sind alles andere denn günstig. Das demokratische Zwischenspiel geht unweigerlich zu Ende – „alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei!“ - und (ganz so wie in den zwanziger and dreißiger Jahren) werden lediglich die völlig tyrannischen Alternativen geprüft, studiert and ins Auge gefaßt. Immer wieder hört man den entrüsteten Aufschrei: „Was, Sie sind gegen die Demokratie? Denn müssen Sie sich ja für den totalitären Einparteienstaat einsetzen, für die Tyrannis!“ Das wäre wohl die Reaktion eines terrible simplificateur. Aber gerade weil fast niemand über andere Alternativen sich den Kopf zerbricht, wurden unsere Schaubilder der Zukunft schwarz in schwarz gemalt - angefangen mit Jacob Burckhardt bis herauf zu Madelung, Zamjatin, Huxley and Orwell. Der Fatalismus wirkt immer lähmend. Man hat eben nicht konstruktiv an nichtdemokratische, jedoch freiheitliche Lösungen gedacht oder nachgedacht. Zum Teil auch deswegen, well man vom Fortschrittsidol fasziniert, sich fürchtet, durch das Studium der Vergangenheit ,reaktionär“ zu wirken.

Anderseits muß man sich vor Augen halten, daß der Zusammenbruch der Demokratie im Augenblick ein großes Übel wäre, weil in diesem Zeitpunkt der mangelnden Vorbereitung wahrscheinlich nur die Tyrannis davon profitieren könnte. Wenn man aber an Italien denkt, wo uns eine Meinungsumfrage schon im April 1970 gezeigt hatte,[20] daß zwei Drittel der Bevölkerung gewillt sind, einem „Mann von Erfahrung and Charakter“ alle Macht zu geben, sollte man doch beunruhigt sein and wissen, wieviel es geschlagen hat. Und dies um so mehr, als die Demokratiseure drauf und dran sind, die Demokratie durch ihre Totalisierung - und eine solche wird schließlich angestrebt! - ad absurdum zu führen. Die Demokratisierung ist eine Zellwucherung der Demokratie, und für die ungehemmte Zellwucherung gibt es einen medizinischen Ausdruck: Krebs. Die Dummheit rast wahrhaftig durch die Welt.

Vielleicht aber wird die Zeit einmal kommen, da man die Formel des Lykurg fast umkehren wird: „Willst du den Staat? Dann führe das Familienprinzip in ihm ein!“ Heute aber ist es doch so, daß der Tag, an dem Autorität, Liebe and Achtung im politischen Bereich die nackte Macht, Parteiung, Neid, Angst und Verdacht ersetzen werden, in weite Ferne gerückt erscheint. Die Zwillingskräfte des totalitären Konformismus und der anarchischen Auflösung[21] machen alle erdenklichen Anstrengungen, um zu erreichen, daß wir noch sehr lange Zeit durch einen dunklen Tunnel reisen müssen.


Verweise


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